Heißt „Si vous voulez“ ja oder nein?



Pamela Stenzel berät als Rechtsanwältin und interkultureller Coach viele deutsche und französische Unternehmen unter anderem zu dem Thema der interkulturellen Kommunikation in der Arbeitswelt.


Fangen wir vorne an: Warum brauchen deutsche Arbeitgeber eine Bewerbungsmappe?

In diesem Bereich bleibt Deutschland eine Ausnahme. Bei vielen anderen Ländern reicht ein Lebenslauf mit einem Motivationsschreiben. Bewerbungsverfahren bleiben insgesamt sehr national. Der Versuch, einen europäischen Lebenslauf durchzusetzen, war zum Beispiel nicht erfolgreich. Deswegen reicht auch nicht eine Übersetzung des Lebenslaufs, weil die Struktur komplett anders ist. In Deutschland sind die Fachkompetenzen am wichtigsten und diese belegt man mit schriftlichen Nachweisen (=Bewerbungsmappe). In Frankreich ist es eher die Persönlichkeit, die man bevorzugt. Deswegen ist dort das Motivationsschreiben so wichtig.

Vermuten wir, dass die Bewerbung erfolgreich war. Erster Arbeitstag: Welches Verhältnis besteht zum Chef in Frankreich und in Deutschland?

Bei dieser Frage gibt es einen Riesenunterschied. In Deutschland ist der Klassiker, dass es einen technischen und einen kaufmännischen Chef gibt. Nach dem Motto: Wir entscheiden zusammen und der Chef hat die Rolle eines Moderators. In Frankreich ist es eher: Wenn der Chef will, dann machen wir das. Es hat auch mit der gesellschaftlichen Struktur des Landes zu tun. Deutschland hat ein föderales System, wo immer der Konsens gesucht wird. Frankreich nicht. Diese Konsenskultur der Deutschen  ist auch im Bildungssystem verankert, wo es öfter Gruppenarbeit und Gruppennoten gibt.

Die Deutschen sind direkt und die Franzosen indirekt: Ein klassisches Klischee oder merkt man sowas tatsächlich in der Arbeitswelt?

Ich spreche da lieber von „High Context“ in Frankreich und „Low Context“ in Deutschland. In Deutschland ist es wichtig, klar, authentisch und ehrlich zu sein. In Frankreich wäre eher die Höflichkeit sehr wichtig. Diese direkte Kommunikationskultur hat auch mit der Geschichte Deutschlands zu tun. Da wir so lange viele unterschiedliche Völker waren, war es wichtig, direkt zum Punkt zu kommen. Ein klassisches Beispiel der Kommunikation ist, wenn der Franzose auf eine Frage antwortet: „Si vous voulez“. Damit sagt er: „Na ja, eigentlich bin ich nicht begeistert“. Der Deutsche versteht: „Wenn Sie wollen = Na dann, machen wir“. Oder „C’est intéressant“ hat auch nicht die gleiche Bedeutung.

Zweites Klischee: Der Deutsche wartet immer mindestens 15 Minuten auf den Franzosen. Stimmt das?

Hinter diesem Klischee mit der Pünktlichkeit steckt viel mehr und zwar unterschiedliche Zeitkonzepte zwischen den Kulturen. Die Deutschen sind eher monochron, d.h., dass sie eins nach dem anderen machen wollen. Die Franzosen sind eher polychron. In Deutschland wird der Tag in Zeitabschnitte strukturiert und Fristen sind sehr wichtig. Sobald der Ansprechpartner diese Fristen nicht respektiert, hat man den Eindruck, dass er meine Zeit „stiehlt“. Bei polychronen Kulturen kann man parallel mehrere Aufgaben erfüllen und die Zeit ist nicht der absolute Wert. Wenn ich was erreichen will, wird es die Zeit dauern, die ich brauche. Auch wenn ich dafür Termine verschieben muss.

Das Gespräch führte der Redakteur Sébastien Vannier.

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