Lyon zählt im echten Leben zu einer belebten Stadt. Im
Frühjahr ist die Stadt von Touristen bevölkert, die mit größenmäßig Respekt
einflößenden Kameraobjektiven und niemals enden wollendem Wissensdurst die
Stadt durchforsten. Dann die Junggesellinnen-Abschiede. Gruppen junger Damen,
die mit allerhand Tohuwabohu, rosafarbenen Accessoires und fragwürdigen
Utensilien anreisen, um eine anstehende Hochzeit zu verkünden. Wer dachte, dies
sei ein deutsches Provinzstadt-Phänomen: falsch! Nicht zu vergessen die
Stadtbewohner selbst, die Seite an Seite mit den Touristen öffentliche Plätze,
Bars, Cafés und die Flussufer der Rhône und der Saône besiedeln.
Irgendwann kommt dann der Sommer. Er nistet sich langsam
aber sicher mit brütender Hitze ein, in den Büros wird über die mangelnde
Leistungsfähigkeit der Klimaanlage geklagt und das Wann und Wohin des Urlaubs
diskutiert. Wenn sich nun auch die letzten Bürohengste Lyons entweder auf den
Autobahnen oder an den Stränden mit Millionen gleichgesinnten Franzosen
drängen, eröffnet sich den in der Stadt Zurückgebliebenen ein ganz anderes
Szenario, dass man der Anschaulichkeit halber mit der Anfangsszene eines
Zombiefilms vergleichen kann. Die Stadt ist so erschreckend tot, dass man an
jeder Straßenecke mit Heuballen oder zerfledderten Zeitungen rechnet, die über
die leergefegten Plätze wehen. Man kennt und grüßt sich unter den wenigen Zurückgebliebenen,
man hält sich die Treue in diesen schwierigen Zeiten der Sommerpause, in denen
jegliches Leben in der Stadt ausgemerzt scheint. Sogar die Tauben scheinen sich
aus dem Staub gemacht zu haben.
Was macht man nun hier in der Zombiestadt Lyon während des
Sommers? Verzweifeln ist eine Option, aber es finden sich eventuell noch ein
paar andere. Zuerst einmal: Sie haben PLATZ! Im echten Leben (Anmerkung: damit
ist die Zeit außerhalb der zweimonatigen Sommerferien gemeint) erfordert es ein
gesundes Maß an Ellbogeneinsatz, um beispielsweise vom Vorplatz der Fourvière,
der stolz die Stadt überragenden Kathedrale, die Aussicht genießen zu können.
Von innen ist dieser zu Ehren der Jungfrau Maria entstandene Sakralbau übrigens
auch nicht zu verachten. (PS: Es ist außerdem kühl hier drin).
Im August gehört der Parc de la Tête d'Or, sonst übersät mit
Frisbee spielenden oder lesenden Menschen, Kindern oder „lernenden“ Studenten,
mitsamt Wiese, Zoo und botanischem Garten Ihnen. Besichtigen Sie historische Monumente
wie das antike römische Theater von Fourvière, gebaut 15 v.Chr., als Lyon noch
Lugdunum hieß und die Hauptstadt der gallischen Provinzen war. Oder die
Traboules, versteckte Passagen, die man übersieht, wenn man es nicht weiß und
die durch wunderschöne mittelalterliche Häuserinnenhöfe führen. Außerdem
organisiert das Institut Lumière bis 3. September am Place Ambroise Courtois
jeden Dienstagabend Kinoabende. Alte und neue Klassiker werden als
Entschädigung für alle einsam Zurückgebliebenen gratis unter freiem Himmel
gespielt. Statt einsam umher zu irren, sollten Sie sich zur Oper begeben: auf
dem Vorplatz finden mittags und abends kostenlose Jazzkonzerte statt. Kommen
Sie rechtzeitig, es könnte knapp mit den Sitzplätzen werden (wirklich, das ist
der Treffpunkt der Nichturlauber). Falls Sie jetzt immer noch nicht überzeugt
sind – das Mittelmeer ist etwa 300 km von Lyon entfernt. Und das Sie sich bloß
nicht über die Menschenmengen bei Ihrem nächsten Besuch im September
beschweren!
Autorin: Nadia Wolf
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