Kleine Städte, große Träume

Bielefeld gibt es trotz aller satirischer Verschwörungstheorien doch! Und Annika Thies mag Bielefeld. Hier hat sie im Frühjahr ihren Master in Politischer Kommunikation begonnen. Überhaupt zieht es die 23-Jährige nicht in anonyme, unübersichtliche Metropolen. Sie fühlt sich in Kleinstädten wohler.
Geboren und aufgewachsen ist sie in Hannover. Schon zu Schulzeiten lebt sie für ihre Leidenschaft, das Schreiben. In der 5. und 6. Klasse bringt sie ihre eigene Schülerzeitung raus, einfach so, in Eigenregie, weil sie festhalten will, was sie beobachtet, was sie bewegt. Sie liebt es, eine eigene Sprache zu finden genauso wie in andere Sprachen einzutauchen.


2007 geht sie für einen High-School-Aufenthalt in den englischsprachigen Teil von Kanada, ganze 6 Monate. Dabei ist Französisch ihre erste Fremdsprache. Doch ein wenig parlieren während des Schüleraustausches oder im Urlaub ist Annika zu wenig. Deswegen entscheidet sie sich nach dem Abitur für den deutsch-französischen Bachelor Europäische Studien. Mit Paderborn und Le Mons lernt sie wieder zwei kleine Städte kennen. Wie alle Studenten der Deutsch-Französischen Hochschule bekommt sie Starthilfe: neben finanzieller Unterstützung ergattert sie einen Platz in den begehrten Wohnheimen. Die kleine Gruppe von Studenten muss sich an der Uni ins Zeug legen. Alle Leistungen werden benotet, das Programm ist intensiv und anspruchsvoll. Der Frontalunterricht ist neu für Annika und die anderen deutschen Studenten. „Das Mitschreiben haben wir uns untereinander aufgeteilt. Das war schon sehr gewöhnungsbedürftig.“

In ihrer Bachelor-Arbeit widmet sich Annika der Frage nach einer europäischen Identität, mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. Eine Abschlussarbeit in der anderen Sprache zu schreiben ist für alle Programmteilnehmer der DFH keine leichte Aufgabe. Annika will  vor dem Masterstudium noch mal ins Ausland. Von Island war sie schon lange fasziniert, seit ihrem Besuch im isländischen Pavillon bei der Expo 2000. Ein Praktikum in einem multikulturellen Zentrum, sieben Wochen eintauchen in eine ganz eigene Welt umgeben von faszinierender Natur.

Und die Auszeit vom Studium verlängert die frisch gebackene Bachelor-Absolventin dann sogar noch: Weil sie sich für Journalismus und institutionelle Kommunikation begeistert, macht sie sich auf die Suche nach einem weiteren Praktikum... und muss nicht lange suchen. Die Deutsch-Französische Hochschule bietet zu diesem Zeitpunkt einen Praktikumsplatz im Bereich Kommunikation an. Mit den eigenen Erfahrungen des bilingualen Studiums hat sie perfekte Voraussetzungen für die kommenden fünf Monate. „Die Aufgaben waren abwechslungsreich und im Jubiläumsjahr des Elysée-Vertrags gab es natürlich besonders viel zu tun.“


Ein Kindheitstraum ging für Annika schon 2011 in Erfüllung. Über ein Jahr hatte sie neben dem Studium an einem Roman geschrieben. Der verlorene Vater erscheint im Passione Verlag, wenn auch zunächst in kleiner Auflage. Die Familiengeschichte dreht sich um Simon, der sich auf die Suche nach seinem leiblichen Vater macht. „Solche dramatischen Erfahrungen mit der eigenen Familie gibt es eigentlich nicht. Trotzdem war es das Thema, was ich literarisch verarbeiten wollte“, sagt sie. Ihre Erfahrungen in Frankreich könnten eines Tages vielleicht auch für ein Buch herhalten. Schon jetzt gibt es eine Kurzgeschichte über die abenteuerliche Heimfahrt mit dem Nachtzug am Heiligen Abend. Annika beschreibt kuriose Gestalten und Begegnungen, den Geruch von Zimt und Parfum im überfüllten Abteil, ein gemeinsames Kuchenessen in Speisewagen bei Kerzenschein, wo sich die verspätungsgeplagten Passagiere auf eingeschneiten Gleisen näher kommen.

„Ich glaube, auch wenn ich nicht über Frankreich schreibe, habe ich durch meine Zeit dort einen anderen Blick auf Deutschland gewonnen. Man schaut anders auf den Alltag.“ Momentan sammelt sie neue Ideen für ein Buch, mag sein, es wird wieder eine Familiengeschichte. So einfach, wie sich manch einer die Arbeit eines Schriftstellers vorstellt, ist das keineswegs. „Für meinen Debütroman hatte ich schon den Rahmen entworfen und wusste, wohin ich am Ende will. In meinem Skizzenbuch habe ich die Charaktere erarbeitet.“ 180 Seiten dauert die Suche nach dem Verlorenen Vater. Für Annika geht die Suche jetzt weiter: nach spannenden Geschichten, nach beruflichen Herausforderungen und nicht zuletzt, nach der schönsten, kleinen Stadt...

Autorin: Romy Strassenburg

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